Erster Brief an die Grosseltern

Liebe Grosseltern,

wir sind wieder auf Reisen. Na, könnt ihr das glauben? Könnt ihr eigentlich glauben oder ist es mehr das Wissen, womit ihr euch nun den ganzen Tag rumschlagen müsst? Mit der Gewissheit, dass ihr woanders seid und es kein Zurück gibt? Das glauben wir zumindest.

Wir sind von unserer eigenen Entscheidung, völlig ohne Grund wieder zusammen zu verreisen sehr überrascht. Zumal es echt keinen Anlass dazu gibt. Wir mögen uns ja noch nicht mal wirklich. Aber ihr habt uns angesteckt. Oder waren das die geschichtsträchtigen Häuser, die uns angefixt haben? Und wie sie das haben, das können wir euch sagen. Wir haben richtig Lust auf diese faszinierende Mischung aus Geschichte und Moderne. Manchmal ist es auch die Verbindung von Fiktion und Wahrheit, die uns fesselt, wie im ersten Haus, welches wir nun besuchen.

Keine Sorge, dass hier wird keine Danksagung. Wir wissen, ihr mögt das gar nicht. Wir erinnern uns beide noch jeweils gut an den Tag als wir uns für das Geld von euch zu unserer Erstkommunion bedankt haben. Großvater, du hast den Raum verlassen und gemeint, du müsstest mal aufs Klo und Großmutter begann sich stumm ihre Nägel immer kürzer und kürzer zu feilen. Unser Vater machte sich schliesslich auf die Suche nach Grossvater und Mutter flüsterte, wir sollten uns nicht bedanken. Wir verstanden die Welt nicht mehr. Das erste Mal; bei der zweiten Erstkommunion war der Dank Absicht, weil wir uns darüber freuten, dass der Vater den Grossvater nicht fand und Grossvater plötzlich wieder da war, aber der Vater nicht.

Wisst ihr, wo wir sind? Wir sind – nach einer kleinen Odyssee – in Flims Waldhaus im Schweizerhof angelangt. Ihr wart hier vor langer Zeit. Das wisst ihr bestimmt noch. Wir glauben nicht, dass ihr dieses Haus vergessen habt. Es war noch vor unserer Zeit, aber auf einer Postkarte an unseren Vater beschreibt ihr, wie ihr von der Veranda aus den Flimser Stein im Sonnenuntergang bestaunt. Nun können wir euch etwas sehr Neues berichten: Der Teppichboden im Entree ist weg! Es gab beim Bau des Fahrstuhls einen Schmorbrand und der hat letztendlich den Originalboden zu Tage gefördert. Schuld war das Löschwasser. Irgendwie. Das hat uns die Direktorin erzählt, als wir den Boden bestaunten. Manchmal hat alles zwei Seiten. Sagte sie. Bei weniger Raum für die Gäste – es sind nur 42 Zimmer – bleibt mehr Raum für Gespräche, denken wir.

Eure Grosskinder

PS: Wurdet ihr eigentlich noch mit dem Gong zum Essen gerufen?

Dialog Reise der Enkel: Doppelbett 10

Weitere Geschichten

Die Autoren: Elisabeth Hart & Rhaban Straumann, Leipzig

Newsletter anmelden und immer informiert bleiben

Anmelden